Existentielle Schuld. Primärdatensatz der Längsschnitterhebung 1985.

Sozialpsychologie

Autor*innen / Ersteller*innen



Abstract

Demographische Daten, Einstellungen, Gerechtigkeitspräferenzen, Kognitionen, Emotionen und Aktionen angesichts objektiver Unterprivilegierung verschiedener Opfergruppen wurden an 434 erwachsenen Westdeutschen längsschnittlich erhoben. Es konnten zwei Reaktionsmuster identifiziert werden: Defensive Reaktionen (mit Leugnung der eigenen Verantwortlichkeit für die Notlage der Benachteiligten, Selbstverschuldungsvorwürfe an die Benachteiligten, Bagatellisierung der Notlage, Rechtfertigung eigener Besserstellung, Ärger über die Benachteiligten), versus prosoziale Reaktionen (mit der Wahrnehmung eigener Verantwortlichkeit für die Notlage der Opfer, Ungerechtigkeitsbewertungen, Wahrnehmung von Zusammenhängen zwischen der eigenen privilegierten und der unterprivilegierten Situation der Benachteiligten, existentielle Schuldgefühle). Defensive Reaktionen lassen sich längsschnittlich aus einer Bedrohung des Glaubens an die Gerechte Welt vorhersagen. Danach reagiert eine Person bei einer Konfrontation mit Schlechtergestellten umso abwertender, je stärker sie an die Gerechte Welt glaubt, und stärkt auf diese Weise ihren Glauben an die Gerechte Welt. Prosoziale Reaktionen sind hingegen eher von Existentiellen Schuldgefühlen (einem Unbehagen angesichts der Diskrepanz zwischen der eigenen, nicht immer verdienten privilegierten Situation und der Schlechterstellung anderer) motiviert.
Der Datensatz enthält die kompletten Primärdaten der zu beiden Zeitpunkten befragten Personen. Relevante abgeleitete Daten werden ebenfalls mitgeteilt.

Persistent Identifier

https://doi.org/10.5160/psychdata.malo85ex05

Jahr der Publikation

Förderung

Deutsche Forschungsgemeinschaft

Zitierung

Montada, L., Reichle, B. & Schneider, A. (2004). Existentielle Schuld. Primärdatensatz der Längsschnitterhebung 1985. (Version 1.0.0) [Daten und Dokumentation]. Trier: Forschungsdatenzentrum am ZPID. https://doi.org/10.5160/psychdata.malo85ex05

Studienbeschreibung

Forschungsfragen/Hypothesen:

Forschungsdesign:

Vollstandardisiertes Erhebungsinstrument (Frageformulierung und Antwortalternativen vorgegeben); mehrmalige Erhebung

Messinstrumente/Apparate:

In der vorliegenden Untersuchung wurden vor allem Erhebungsinstrumente eingesetzt, die von der Forschungsgruppe bereits im Rahmen vorhergegangener Studien entwickelt wurden, z.T. mit leichten Modifikationen (vgl. Montada, Schmitt & Dalbert, 1983, Schneider, Reichle & Montada, 1986).
Das Erhebungsinstrument besteht aus 14 Untereinheiten, die an insgesamt vier Testzeitpunkten vorgegeben wurden. Die Vorgabereihenfolge war zu beiden Untersuchungszeiträumen gleich (siehe Zeitdimension der Datenerhebung). Folgende Instrumente wurden verwendet:
Demographiefragebogen Teil 1 (DG2): Die Bearbeitung dieses Kurzfragebogens mit Angaben zum Alter, Geschlecht und Kindern des Pb gilt zugleich als Einwilligung zur Teilnahme an der Untersuchung.
Demographiefragebogen Teil 2 (DG3): Weitere demographische Angaben des Pb (Schulabschluß, Berufstätigkeit, Einschätzung der Wahrscheinlichkeit der eigenen Arbeitslosigkeit für den Pb und ggf. des Partners, Religiosität, Einkommen, Gemeindegröße), sowie Angaben zum sozialen und politischen Engagement des Pb.
Politische Aktivitäten und Ziele (AZ2): Für verschiedene politische Ziele soll eingeschätzt werden, für wie sinnvoll die Pbn einen Einsatz für dieses Ziel halten, sowie ihre eigene Bereitschaft, sich für dieses Ziel zu engagieren. AZ2 und DG3 dienen der endgültigen Kriteriumsgruppenbildung.
Existentielle Schuld Inventar Teil 1 (ES2) und Teil 2 (ES3): Zu neun Situationen, in denen drei Benachteiligungsbereiche (Zukunftsaussichten Jugendlicher, Wohnbedingungen, Arbeitsbedingungen bzw. psychosoziale Situation) von drei Gruppen (Arbeitslosen, Menschen in der Dritten Welt, türkischen Gastarbeitern) geschildert werden, werden jeweils acht Gedanken/Gefühle formuliert, die kognitive und emotionale Reaktionen darstellen sollen. Die Situationen 1-3 thematisieren die Zukunftsaussichten von jugendlichen Angehörigen dieser drei Gruppen: Situation 1 die der türkischen Jugendlichen, Situation 2 die der Jugendlichen in der Dritten Welt, Situation 3 die von arbeitslosen Jugendlichen in der Bundesrepublik. Die Situationen 4-6 beschäftigen sich mit dem Problemkreis "Wohnbedingungen": Situation 4 thematisiert die Wohnsituation türkischer Gastarbeiter in der Bundesrepublik, Situation 5 die allgemeinen Lebens- sowie Wohnbedingungen von Menschen in der Dritten Welt, Situation 6 Wohnungsnöte infolge von Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik. In den Situationen 7-8 geht es um Arbeitsbedingungen, bei 7 die von türkischen Gastarbeitern, bei 8 die von Menschen in der Dritten Welt. Situation 9 thematisiert psychosoziale Folgen von Arbeitslosigkeit. ES2: Relativierung der Lage der Benachteiligten, Gefällewahrnehmung zwischen Pb selbst und den Benachteiligten, Existentielle Schuld, Ungerechtigkeitskognition der Differenz zwischen Pb selbst und Benachteiligten, Rechtfertigung eigener Privilegien, Selbstverschuldung der Notlage, Handlungsaufforderung an sich selbst, Zufriedenheit mit dem eigenen Privileg. ES3: Mitleid mit den Benachteiligten, Betroffenheit über die Diskrepanz zu eigenen Gunsten, Zusammenhangswahrnehmung zwischen der Notlage der Benachteiligten und der eigenen besseren Lage, Angst vor Privilegverlust, Ärger über Selbstverschulden der Notlage, Handlungsaufforderung an mächtige Andere, Zorn über die Ungerechtigkeit, Hoffnungslosigkeit bezüglich der Veränderbarkeit der Situation.
Interne Konsistenz - positiv gepolt (IK3) und negativ gepolt (IK4): Das Instrument misst die selbstwahrgenommene interne Konsistenz und die Konsistenzzentralität. In IK3 sind sämtliche Items positiv formuliert, in IK4 negativ.
Handlungsspielraum (HS2): Jede der insgesamt neun (drei Benachteiligungsbereiche mal drei Benachteiligtengruppen) in ES2 und ES3 geschilderten Notlagen soll, ohne dass sie explizit noch einmal geschildert wird, danach eingeschätzt werden, ob und in welchem Ausmaß eigene Veränderungsmöglichkeiten gesehen werden.
Verteilungsgerechtigkeit - gruppenspezifisch (VG2): Es werden Gerechtigkeitsprinzipien (Leistungsprinzip, Bedürfnisprinzip) erfasst, die in Förderungs- und ökonomischen Kontexten für die Verteilung von Privilegien zwischen Industrienationen und der Dritten Welt, zwischen türkischen Gastarbeitern und Deutschen und zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen bzw. zwischen verschiedenen Arbeitslosen angelegt werden.
Gerechter-Welt-Glaube (GW2): Erfasst werden der allgemeine Gerechte-Welt-Glaube, d.h. die Überzeugung von einer im Grunde gerechten Welt, sowie ein bereichsspezifischer Gerechte-Welt-Glaube, der die Auffassung widerspiegelt, dass es sich bei den Situationen der Benachteiligungsgruppen nicht um ungerechtfertigte Unterschiede zwischen Benachteiligten und Privilegierten handelt.
Verteilungsgerechtigkeit (VG3): Das Instrument misst die vier Gerechtigkeitsprizipien Leistungsprinzip, Bedürfnisprinzip, Prinzip der Chancengleichheit und Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit. Die Items sind inhaltlich nach den Kategorien Verteilungsgut (materieller, symbolischer Wert, Privileg und Recht, Position), Kontext (ökonomischer, förderungsorientierter und beziehungsorientierter) und Modus (Entzug, Zuteilung) formuliert.
Lebenszufriedenheit (LZ2): Die Pbn sollen zum einen ihre Zufriedenheit mit ihrer Lebenssituation allgemein einschätzen, bezogen auf die Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zum anderen wird die bereichsspezifische Lebenszufriedenheit für die Privilegbereiche Persönliche Zukunftssicherheit, Leben in Wohlstand, Arbeitsbedingungen, seelische Gesundheit durch Arbeit, soziales Ansehen, finanzielle Absicherung und Wohnsituation erfragt.
Einstellungen gegenüber den Benachteiligtengruppen (EO2): Für die drei Benachteiligtengruppen sowie für erfolgreiche Bundesbürger sind auf einer Adjektivliste positive und negative Eigenschaften sowie Sympathie/Antipathie einzuschätzen. Gefragt wird nach der Verbreitung der Eigenschaften in den Gruppen und nicht nach der Eigenschaftsausprägung.
Soziale Erwünschtheit (CM2): nach Crowne & Marlowe (1960), übersetzt von Lück & Timaeus (1969).
Zum größten Teil werden die Antworten auf sechsstufigen Ratingskalen erfasst.

Datenerhebungsmethode:

Erhebung in Abwesenheit eines Versuchsleiters

Population:

Deutsche, die hinsichtlich der Merkmale Wohlstand, deutscher Staatsangehörigkeit und eines Arbeitsplatzes gegenüber den Benachteiligtengruppen (Menschen in der Dritten Welt, türkische Gastarbeiter und Arbeitslose) privilegiert sind.

Erhebungszeitraum:

Längsschnittanalyse
U1: Juni/Juli 1985, vier Testzeitpunkte in 14tägigem Abstand; U2: November/Dezember 1985, vier Testzeitpunkte im 14tägigen Abstand; jeweils T1: DG2; T2: DG3, AZ2, ES2, IK3; T3: ES3, HS2, VG2, GW2; T4: VG3, LZ2, IK4, EO2, CM2

Stichprobe:

Stichprobe 1.1: Arbeitnehmer mit hoher Arbeitsplatzsicherheit = Beamte. (N=327).
Stichprobe 1.2: Gruppe mit geringerer Existenzsicherung = Inhaber mittelständischer bzw. kleiner Unternehmen (N=393)
Stichprobe 2: eingegrenzte Zufallsstichprobe: Bewohner relativ privilegierter Wohnbezirke (N=2803)
Stichprobe 3.1 bis 3.6.: Hauptfachstudierende der Universität Trier (N=619)

Geschlechtsverteilung:

40,8% weibliche Probanden (n=177)
59,2% männliche Probanden (n=257)


Altersverteilung: 19-84 Jahre

Räumlicher Erfassungsbereich (Land/Region/Stadt): Deutschland

Probandenrekrutierung:

Stichprobe 1: Jeder zweite Fernsprechteilnehmer mit in Frage kommender Berufsbezeichnung aus dem amtlichen Fernsprechbuch 16, 1984/85, begrenzt auf die Stadt Trier wurde angeschrieben.
Stichprobe 2 wurde über das Einwohnermeldeamt der Stadt Saarbrücken rekrutiert.
Stichprobe 3: Rekrutierung in Lehrveranstaltungen des Sommersemesters 1985.

Stichprobengröße:

434 Individuen

Rücklauf/Ausfall:

Von den 4142 ausgegebenen Fragebögen wurde zum Untersuchungszeitpunkt 1 ein Rücklauf von 991 Pbn (23,9%) erzielt. Von diesen Pbn sandten 434 (43,8%) die Fragebögen des Untersuchungszeitpunktes 2 zurück. Der Drop-out beträgt somit 56,2%.

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Beschreibung: Primärdaten und abgeleitete Daten zur Studie

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