Auswirkungen visueller Umgebungsbedingungen auf motorisches Anpassungslernen. Forschungsdaten eines Experiments zur Sakkadenadaptation.
Kognitive PsychologieAutor*innen / Ersteller*innen
Voges, CarolineHelmchen, Christoph
Heide, Wolfgang
Sprenger, Andreas
Abstract
Die Genauigkeit zielgerichteter motorischer Bewegungen kann durch physiologische Prozesse, wie z.B. Wachstum und Alter, aber auch durch krankhafte Veränderungen beeinträchtigt werden. Das menschliche ZNS ist in der Lage, diese Fehlfunktionen zu kompensieren, indem die Größe und Richtung der Bewegung angepasst wird. Diese Adaptationsvorgänge treffen auch für Augenbewegungen zu.
Das Phänomen der Adaptation kann auch experimentell am gesunden Menschen erzeugt werden, indem Blickziele während der Augenbewegung – damit nicht wahrnehmbar – versetzt werden (sog. Sakkaden-Adaptationsparadigma nach McLaughlin, 1967). Nach sehr kurzer Zeit passt das visuelle System die Amplitude des Blicksprungs (Sakkade) auf den versetzten Stimulus an. Zahlreiche Studien geben Hinweise darauf, dass die Adaptationsleistung (Gain) nach Beendigung eines Experiments nicht sofort wieder verschwindet, sondern zumindest teilweise gespeichert wird. Die visuellen Umgebungsbedingungen sowie die okulomotorische Aktivität nach dem Adaptationsexperiment scheinen dabei die Konsolidierung des Gelernten zu beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund wurde in dieser Untersuchung der Frage nachgegangen, inwiefern eine Sichtdeprivation verglichen mit einem natürlichen Seheindruck die Konsolidierung der Sakkadenadaptation beeinflusst. Die Probanden wurden hierzu entweder tagsüber mittels Ganzfeldstimulation als künstliche Form oder mittels Schlaf als natürliche Form der Sichtdeprivation von visuellen Reizen abgeschirmt. Im Experiment, das tagsüber stattfand, wurde nach einer Baseline in zwei Einheiten eine Sakkadenamplitude adaptiert mit einer Extinktionseinheit zwischen den Adaptationsblöcken. Dieselbe Versuchsanordnung ohne vorherige Baseline wurde nach zweistündiger Ganzfeldstimulation bzw. derselben Zeit normal sehend wiederholt. Nach vier Wochen wurden die Probanden in der jeweils anderen Kondition mit Adaptation in die jeweils andere Richtung getestet (cross-over-Design). Im Schlafexperiment schliefen die Probanden eine Nacht zwischen den Versuchsteilen bei ansonsten analoger Versuchsanordnung.
Die Ergebnisse zeigen eine kurzfristige bessere Reproduzierbarkeit der Adaptationsleistung nach normalem Sehen im Vergleich zu den Bedingungen mit Sichtdeprivation. Doch dieser Vorteil scheint nur von kurzer Dauer: Nach einem weiteren Extinktionsblock konnten die sichtdeprivierten Gruppen ihren Gain verbessern, während sich in der Sehend-Gruppe die Adaptation verschlechterte. Nach vier Wochen konnte noch eine teilweise Speicherung des adaptierten Gains bei den Probanden mit Sichtdeprivation nachgewiesen werden. Der weiterhin reduzierte Gain beschränkte sich jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur auf die adaptierte Seite, sondern war auch auf der Gegenseite erkennbar.
Das Ergebnis einer langfristig verbesserten Speicherung von Sakkadenadaptation bei jedoch kurzzeitiger Störung des adaptierten Gains scheint zunächst paradox und wirft die Frage nach den genauen Mechanismen dieses Phänomens auf. Die Ergebnisse zeigen, dass der visuelle Referenzrahmen in der Zeit nach Adaptation eine wesentliche Rolle spielt. Während des normalen Sehens in einer natürlichen Umgebung ist die visuelle Referenz stabil und interferiert nicht mit der adaptationsinduzierten räumlichen Neukodierung reflexiver Sakkaden bei erneuter Adaptation. Im Schlaf oder bei Ganzfeldstimulation fehlt jedoch dieser visuelle Referenzrahmen, es muss also verstärkt auf Mechanismen der internen Rückkopplung zurückgegriffen werden. Diese könnten mit erneuter Adaptation nach Sichtdeprivation interferieren und somit die Verbesserung eines langfristigen Lerneffektes durch Ganzfeldstimulation oder Schlaf vorübergehend maskieren.
Persistent Identifier
https://doi.org/10.5160/psychdata.vsce10aus26Jahr der Publikation
2015Förderung
Zitiervorschlag
Studienbeschreibung
Forschungsfragen/Hypothesen:
Ziel dieser Studie war es, den Einfluss visueller Informationen auf die Konsolidierung adaptierter Sakkaden zu untersuchen. Es sollte gezeigt werden, ob (1) freies Sehen in einem natürlichen, räumlich stabilen Umfeld - d.h. einem konstanten egozentrischen visuellen Raum - das sakkadische System rekalibriert und (2) ob visuelle Deprivation oder Schlaf nach Adaptation ihre Konsolidierung fördern. Dazu wurden die Lernkurven der Sequenz Adaptation - Extinktion -Adaptation vor und nach verschiedenen visuellen Konditionen untersucht. Messgrößen für eine Speicherung wie eine Verbesserung der Re-Adaptation waren dabei von Interesse. Freies Sehen diente als Kontrollbedingung für zwei unterschiedliche Arten der Sichtdeprivation (Ganzfeldstimulation und Schlaf). Es wurden zusätzlich Langzeiteffekte nach 4 Wochen bestimmt.
Forschungsdesign:
Experimentelles Design, Gemischtes Design, Laborexperiment; mehrmalige Erhebung
Messinstrumente/Apparate:
Die Probanden saßen in einem abgedunkelten Raum auf einem Stuhl in 1,4 m Entfernung zu einer Projektionsscheibe. Während der Messung wurde der Kopf durch eine Kinnstütze stabilisiert. Als Stimulus diente ein roter Laserpunkt mit einem Durchmesser von 0,1°, der von den Probanden mit den Augen verfolgt werden sollte. Die Augenbewegungen wurden via Videookulographie (Eyelink-II, SR Research Ltd., Mississauga, Ontario, Kanada) aufgezeichnet. Bei Versuchsdurchgängen mit Adaptation wurde der Beginn eines Blicksprungs online erkannt und das Blickziel entsprechend versetzt.
Datenerhebungsmethode:
Erhebung in Anwesenheit eines Versuchsleiters
- Einzelvorgabe
- computergestützt
- spezielle Apparaturen oder Messinstrumente, und zwar: Elektro-Enzephalographie (EEG), Elektro-Okulographie (EOG), Elektro-Myographie (EMG), Aufzeichnung von Augenbewegungen
Population:
Gesunde Menschen im Alter von 18-30 Jahren
Erhebungszeitraum:
Der Versuch mit zweistündiger Ganzfeld-Stimulation bzw. normalem Sehen fand zwischen 10 und 16 Uhr statt. Nach 4 Wochen wurden die Probanden in der jeweils anderen Bedingung getestet. Die Schlaf-Bedingung erfolgte nachts.
Stichprobe:
Einfache Zufallsstichprobe
Geschlechtsverteilung:
Studie 1:
55 % weibliche Probanden (n=11)
45 % männliche Probanden (n=9)
Studie 2:
66,67 % weibliche Probanden (n=10)
33,33 % männliche Probanden (n=5)
Altersverteilung: 18-30 Jahre
Räumlicher Erfassungsbereich (Land/Region/Stadt): Deutschland/Schleswig-Holstein/Lübeck
Probandenrekrutierung:
Aushang; Entlohnung von bis zu 120 Euro (je nach Zeitdauer)
Stichprobengröße:
Studie 1: 23 Individuen; Studie 2: 16 Individuen
Rücklauf/Ausfall:
Studie 1: Ausschluss von 3 Personen; Studie 2: Ausschluss von 1 Person.
MD5: 7285e4ba00a3c42e9c11963724abab84
Position | Name | Label | Gültige Werte | Fehlende Werte |
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1
|
GROUP
|
group
|
1 "daytime conditions (Ganzfeld stimulation or normal viewing)"
2 "sleep condition"
|
9 "missing value"
|
2
|
SUBJECT_NUMBER
|
subject number
|
1-26 "subject number"
|
99 "missing value"
|
3
|
AGE
|
age of the subject
|
19-30 "years"
|
999 "missing value"
|
4
|
SEX
|
sex of the subject
|
1 "male"
2 "female"
|
9 "missing value"
|
5
|
FIRST_CONDITION
|
first condition during 2h rest/sleep
|
1 "Ganzfeld stimulation"
2 "normal viewing"
3 "sleep"
|
9 "missing value"
|
6
|
SECOND_CONDITION
|
condition in the second session after 4 weeks
|
1 "Ganzfeld stimulation"
2 "viewing"
3 "sleep"
|
9 "missing value"
|
7
|
FIRST_DIRECTION
|
first direction of adaptation
|
1 "left"
2 "right"
|
9 "missing value"
|
8
|
SECOND_DIRECTION
|
direction of adaptation in the second session after 4 weeks
|
1 "left"
2 "right"
|
9 "missing value"
|
9
|
DOMINANT_EYE
|
dominant eye of the subject
|
1 "left"
2 "right"
|
9 "missing value"
|
10
|
GAIN_BASE_REC1
|
median baseline gain in the first recording
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0,86-1,08 "median baseline gain"
|
9 "missing value"
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Eingesetzte Testverfahren |
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McLaughlin, S.C. (1967). Parametric adjustment in saccadic eye movements. Perception & Psychophysics, 2 (8), 359-362.
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Weiterführende Literatur |
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Leigh, R. J., & Zee, D. S. (2006). The Neurology of Eye Movements. New York: Oxford University Press.
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Pelisson, D., Alahyane, N., Panouilleres, M., & Tilikete, C. (2010). Sensorimotor adaptation of saccadic eye movements. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 34, 1103-1120.
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Rechtschaffen, A., & Kales, A. (1968). A Manual of Standardized Terminology, Techniques and Scoring System for Sleep Stages of Human Subjects. Washington: Public Health Service, United States Government Printing Office.
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